Wegen eines Selbstunfalls erhielt Orhan, der seit 31 Jahren in der Schweiz lebt, keine Bürgerrechte. Zu Unrecht, sagt das Bunddesgericht nun in einem wegweisenden Urteil am 21. Mai 2025. Mit 3 zu 2 Stimmen hiessen die zuständigen Richter die Beschwerde von Orhan gut. Sie verlangen eine Gesamtbeurteilung aller Integrationskriterien. Dieses neue Urteil des Bundesgerichts wird nun diese Einbürgerungspraxis verändern.
Orhan lebt seit 1994 in der Schweiz und hat sich seitdem integriert. Er spricht Deutsch, beschäftigt in seinem Restaurant mehrere Angestellte. Er ist Mitglied im Skiclub, unzählige Vereine halten in seinem Restaurant ihre Versammlungen ab. Positive Referenzen erhält er genauso von ehemaligen SVP-Kantonsräten wie von SP-Kantonsräten. Orhan gilt als vollständig integriert und bewirbt sich für die Einbürgerung. Seine Integration reichte für Migrationsamt nicht, da Orhan im August 2020 wegen Übermüdung am Steuer einen Unfall hatte. Per Strafbefehl erhielt er 900 Franken Busse und einen Eintrag im Strafregister. Er bezahlt seine Busse CHF 900. Der Eintrag im Strafregister wurde Orhan zum Verhängnis.Der Einbürgerungsprozess lief eigentlich bis zum Unfall ohne Probleme. Den Einbürgerungstest in der Gemeinde hat Orhan bestanden, es stand nur noch die formale Bestätigung durch den Regierungsrat aus. Doch wegen des Eintrags im Strafregister sistierte die Schwyzer Regierung, basierend auf den Richtlinien des Staatssekretariats für Migration (SEM), die Einbürgerung für fünf Jahre. Das Staatssekretariat regelt diese auf Bundesebene in einem Handbuch.
Wer den Pass will, muss gemäss Bürgerrechtsgesetz «erfolgreich integriert» und «mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut» sein. So weit, so schwammig. Doch Bund und Kantone wenden bei der Einbürgerung bislang sogenannte Killerkriterien an, die eine Einbürgerung verunmöglichen – selbst wenn der Bewerber sonst alle Bedingungen der Integration erfüllt. Ein Kriterium lautet: Wer einen Eintrag im Strafregister hat, darf nicht Schweizer werden. Das Bundesgerichtsurteil am 21.05.2025 ist von grundsätzlicher Bedeutung. Gemäss Elias Studer muss das Urteil dazu führen, dass Bund und Kantone ihre Praxis ändern: «Sie müssen in solchen Fällen eine Einzelfallprüfung vornehmen und dürfen nicht mehr pauschal Personen aufgrund von kleineren Verkehrsdelikten für fünf Jahre sistieren.» Das SEM darf künftig nicht mehr formalistisch auf seine starren Schemen abstellen sogenannte "Killerkriterien", sondern muss stets anhand der konkreten Fakten beurteilen, ob eine Person integriert ist oder nicht. Auch Barbara von Rütte, Spezialistin für Migrationsrecht am Europainstitut der Universität Basel hält das Urteil für wegweisend: «Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die Einbürgerungspraxis in der Schweiz. Das Urteil macht klar, dass die bisherige Rechtsauslegung von SEM und Bundesverwaltungsgericht nicht haltbar ist. Das SEM wird sein Handbuch anpassen müssen – ein Eintrag im Strafregister darf nicht mehr per se ein Hinderungsgrund für eine Einbürgerung sein» (https://www.tagesanzeiger.ch/einbuergerung-schweiz-trotz-autounfall-bundesgericht-entscheidet-720178116566)
Das Urteil des Bundesgerichts stellt somit einen grossen Fortschritt dar, es geht in Richtung mehr Demokratie: Wer hier lebt und tatsächlich integriert ist, kann in Zukunft weniger einfach willkürlich von der gleichberechtigten politischen Teilhabe ausgeschlossen werden.