In ihrem Buch «Die neue Heimat in Schwarz-Weiss» interviewt die in Peru geborene Journalistin Rosa Amelia Fierro Migrant:innen aus dem spanischsprachigen Lateinamerika in der Schweiz. Sie erzählen von ihr Leben in den Herkunftsländern und damit von der jüngeren Geschichte des Kontinents, erläutern ihre Migrationsgründe, reflektieren ihre Integrationsprozesse und geben ihre Perspektiven auf die Schweizer Gesellschaft wieder.
Horizonte sprach mit der Autorin über ihr Werk.
Die Migrationsbevölkerung aus dem spanischsprachigen Lateinamerika macht keine Schlagzeilen und erscheint in den Statistiken undifferenziert unter der Rubrik "Amerika". Zwischen 1981 und 2021 wurden jedoch 32'165 Personen aus dieser Region eingebürgert. Diese Migration ist mehrheitlich weiblich (20'143 Frauen und 12'022 Männer in diesem Zeitraum). Aber in diesem Buch geht es nicht um Statistiken. Mein Ziel war es, diese Gemeinschaft ungefiltert, ohne Vorurteile und Klischees vorzustellen. Ich dachte, dass ich dieses Ziel am besten erreiche, wenn ich diese Gruppe selbst zu Wort kommen lasse. Ich habe zwölf Personen interviewt, eine kleine Gruppe, aber so vielfältig wie möglich.
Das erste Problem war die Sprache. Die meisten mussten in der Schweiz Deutsch lernen und auch Schweizerdeutsch verstehen. Die zweite Schwierigkeit bestand darin, dass ihre Ausbildungen und Berufserfahrungen nicht oder nur teilweise anerkannt wurden. Diese Disqualifizierung und Abwertung von Fachkräften aus dem sogenannten globalen Süden haben ihre Wurzeln im Kolonialismus. Der Fall der Interviewpartnerin aus Ecuador verdeutlicht dies: Ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre und ihre Berufserfahrung in einer leitenden Position in einem Verlag in Quito wurden mit der Begründung, sie käme «aus der Dritten Welt», nicht anerkannt. Die Berufsberatung empfahl ihr, eine Stelle in einer Reinigungsfirma anzunehmen. Als sie Witwe wurde, arbeitete sie tatsächlich als Reinigungskraft. Doch sie warf nicht das Handtuch, sondern bildete sich weiter und arbeitet heute, nachdem sie drei Kinder allein grossgezogen hat, in einem Krankenhaus, pflegt alte Menschen, leistet Freiwilligenarbeit und engagiert sich in der Politik ihres Landes. Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in ihrem Heimatland erworben hat, waren trotz offizieller Aberkennung ausschlaggebend dafür, dass sie ihren Platz im hiesigen Arbeitsmarkt gefunden hat. Sowohl die Schweizer Institutionen als auch die potenziellen Arbeitgeber sollten offener sein und die Fähigkeiten der Migrant:innen nicht von vornherein abwerten. Ich muss aber sagen, dass die Vorurteile beiseitegelegt werden, wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften gross ist. Im Gesundheitswesen zum Beispiel gibt es immer mehr lateinamerikanische Fachkräfte.
Ja, die Befragten gaben an, dass bei ihrer Ankunft in der Schweiz die Wohnung, die Krankenversicherung und sogar der Deutschkurs bereits organisiert waren. Bei den lateinamerikanischen Frauen, die mit Schweizer Männern verheiratet sind, wird, zumindest in den ersten Jahren, das traditionelle Familienmodell gelebt: Die Frau bleibt zu Hause und kümmert sich um die Kinder, während der Mann den Lebensunterhalt verdient. Bei Lateinamerikanern, die mit einer Schweizerin verheiratet sind, ist in der Regel die Frau die Ernährerin. Diese Paare sind stärker benachteiligt, da die Schweizerin weniger verdient als der Schweizer, aber mehr als der Migrant. Diese Situation führt dazu, dass viele lateinamerikanische Männer für eine gewisse Zeit die Rolle des Hausmannes übernehmen. Für einen beruflichen Neuanfang oder eine Weiterbildung fehlen dann die Mittel. Im Falle einer Scheidung bleiben beide in einer Situation der Vulnerabilität.
Das Buch "Die neue Heimat in Schwarz-Weiss: Lateinamerikanner:innen in der Schweiz" ist in Deutsch erschienen und ist erhältlich in LibRomania, Ibercultura und Buchhandlung zum Zytglogge.