Interview

Was sagt die Kardiologin Nazan Walpoth dazu

- Emine Sariaslan
Dr. med Nazan Walpoth (zvg)

Die zunehmende Kreislaufprobleme bis zum Herzinfarkt häufen sich. Das stellen viele Menschen in ihrem Umfeld fest. Wir haben die Kardiologin Nazan Walpoth nach den Ursachen und den Präventions- und Unterstützungsmassnahmen gefragt.

 

Hat die Zahl der Herzinfarkte bzw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen zugenommen? Wenn ja, um wie viel Prozent?

Ja, in vielen Industrieländern, darunter auch die Schweiz, ist in den letzten Jahren ein Anstieg bestimmter Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu beobachten – insbesondere bei Frauen und Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status. Laut Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiterhin die häufigste Todesursache weltweit. In der Schweiz sterben jährlich rund 20'000 Menschen an den Folgen – das sind ca. 30 % aller Todesfälle. Daten zeigen, dass insbesondere jüngere Frauen (unter 55 Jahren) wieder vermehrt betroffen sind.

Was sind die Gründe dafür?

Die Ursachen sind vielfältig – sowohl medizinisch als auch gesellschaftlich. Ich werde diese Ursachen in einer Reihenfolge erwähnen.

Eine Ursache sind die Arbeitsbedingungen: Stress am Arbeitsplatz, lange Arbeitszeiten, fehlende Pausen, Schichtarbeit und prekäre Beschäftigung wirken sich negativ auf das Herz-Kreislauf-System aus. Besonders in belastenden Berufen, etwa in der Pflege, Reinigung, Logistik oder Gastronomie – wo viele Frauen und Migrantinnen arbeiten – ist das Risiko erhöht.

Es gibt auch geschlechtsspezifische Unterschiede: Herzinfarkte bei Frauen werden oft zu spät erkannt oder falsch diagnostiziert, weil Symptome sich von denen der Männer unterscheiden können (z. B. Übelkeit, Rückenschmerzen statt Brustschmerz). Zudem sind viele medizinische Studien weiterhin auf Männer ausgerichtet.

Im Bezug of soziale Faktoren sind Menschen mit geringerem Einkommen, schlechter Wohnsituation oder fehlender Gesundheitsversorgung stärker gefährdet. Für Migrantinnen kommen Sprachbarrieren, Diskriminierung und fehlender Zugang zu Gesundheitsinformationen hinzu.

Und schliesslich der psychosoziale Stress: Diskriminierung, Rassismus, Mehrfachbelastung durch Arbeit und unbezahlte Sorgearbeit (z. B. Kinderbetreuung) tragen erheblich zur Erschöpfung und damit zu chronischen Erkrankungen bei.

Wenn jemand einem Herzinfarkt in eigenem Umfeld erzählt, werden diese Herzprobleme auch in Verbindung mit einer Impfung oder durchgemachte Corona-Erkrankung. Was sagst du als Ärztin dazu?

Das Thema ist komplex. Tatsächlich kann eine COVID-19-Infektion das Herz schädigen, etwa durch Entzündungen des Herzmuskels (Myokarditis) oder Thrombosen (Vektor Impfungen, kamen in der CH nie zum Einsatz). Die Impfung schützt vor diesen Risiken, insbesondere bei vulnerablen Gruppen. Die Risiken sind somit von der Impfung sind als sehr gering einzustufen, im Vergleich die Erkrankung selber bei vulnerablen Personen mit sehr hohem Risiko verbunden ist.
Myokarditis nach einer Impfung mit mRNA-Impfstoffen wurde vor allem bei jungen Männern beobachtet, war aber sehr selten und in der Regel mild. Die Daten zeigen deutlich: Das Risiko eines Herzschadens ist durch die Infektion selbst deutlich höher als durch die Impfung.

Wichtig ist: Für Menschen in belasteten Lebenssituationen (Stress, Armut, Migrationsdruck) kann eine COVID-Erkrankung zusätzlich belastend wirken – auch fürs Herz.

Was sollten Politik, Individuum und Gesellschaft unternehmen, um die Zahl der Herzinfarkte und Herzprobleme zu verringern?

Die Politik ist gefordert: Sie kann bessere Arbeitsbedingungen gesetzlich verankern, Präventionskampagnen fördern, Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle sichern – unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus. Gendergerechte Medizin fördern. Aber auch wir als Gesellschaft können viel tun.  Enttabuisierung von psychischen Belastungen, Aufklärung über frauenspezifische Symptome, Förderung von Bewegung, gesunder Ernährung und Stressreduktion. Als Individuum habe ich auch einige Möglichkeiten.  Bewegung, gesunde Ernährung, auf Warnzeichen achten. Frauen sollten ihre Herzgesundheit aktiv im Blick behalten und bei Beschwerden ärztliche Hilfe suchen.

Was empfiehlst du uns und der Gewerkschaften wie Unia, was sie hier machen können?

Politisch Druck ausüben, für faire Arbeitszeiten, besseren Gesundheitsschutz, Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Zielgruppenspezifisch arbeiten idem Frauen, Migrantinnen, prekär Beschäftigte gezielt ansprechen – auch in der Sprache, die sie verstehen. Aufklärung & Schulungen: Zu Herzgesundheit, Stressbewältigung, Arbeitsrecht und Zugang zu Gesundheitsleistungen. Bündnisse bilden: Mit Fachorganisationen, NGOs und Gesundheitsakteur*innen – für gesamtgesellschaftliche Lösungen.

Dr.med. Belinda Nazan Walpoth, Fachärztin für Kardiologie FMH, Grossrätin Kanton Bern und Stiftungsrätin der Berner Stiftung zur Förderung der Hausarzt-Medizin